An der gestrigen Hauptversammlung wurde die 5-jährige Treue von Matthias Ott geehrt. Inklusive Zivildienst ist er heuer bereits im 6. Jahr bei ToKJO. Er hat zwei grundverschiedene Arbeitsplätze: Am Schreibtisch im ToKJO-Büro an der Talstrasse und auf den Strassen und Plätzen in der Stadt Langenthal. Im Jahresbericht erzählt er über sein vergangenes Jahr. Er versucht diesen Spagat möglichst elegant und effizient auszubalancieren – und auszuhalten. Das galt für 2015, das bleibt seine Herausforderung für 2016.
Den ganzen Jahresbericht gibt es hier: Jahresberichte
ToKJO: Wo warst du 2015 für ToKJO am häufigsten anzutreffen?
Matthias Ott: Im Büro. Nein, im Ernst: diese Frage kann ich so nicht beantworten. Es kommt auf die Saison an. Im Sommer überall, wo man gemütlich draussen verweilen kann. Langete, Parkanlagen, Schulhausplätze, Skateanlagen, Badi – dort wo sich die Jugendlichen auch aufhalten.
Sind spezielle Anlässe angesagt, besuche ich die. Im Winter fällt auch mir der Aufenthalt draussen kältebedingt eher schwer. Der öffentliche Raum wird dann von den Jugendlichen nur genutzt, um rasch von A nach B zu gelangen. Ein wichtiger Knotenpunkt ist hier sicher der Langenthaler Bahnhof.
Gab es Gruppen, die besonders auffallen?
Jede Gruppe ist auf ihre eigene Art aufgefallen. Auffallend gut, auffallend unauffällig und dann gibt es sicher auch Gruppen, die je nach Blickwinkel negativ auffallen. Es gab Gruppen, die sind durch Graffitis aufgefallen, es gab Gruppen, die durch Rumhängen aufgefallen sind, aber auch Gruppen, die durch ihre Anwesenheit oder ihren Konsum aufgefallen sind.
Welche Themen haben dich intensiv beschäftigt?
Alltagsthemen – je nach dem, wo die Jugendlichen gerade stehen. Schule, Prüfungen, Liebe. Die Lehre, Lehrabbruch und ein Leben ohne Job waren Themen, mit denen ich in diesem Jahr öfters konfrontiert wurde. Ich habe deshalb auch diverse Bewerbungen gelesen und versucht, sie mit den Jugendlichen zu optimieren. Manchmal braucht es auch nur Inputs oder ein Hinweis auf die verschiedenen Lehrstellenportale im Internet. Das akute, aktuellste und für mich auch wichtigste Thema: Wo können, sollen – und vor allem dürfen – sich die Jugendlichen im öffentlichen Raum noch wie und wann aufhalten.
Was meinst du: Hat sich dein Engagement als ToKJO- Streetworker in Langenthal gelohnt? Was bringt es der Stadt, wenn du unterwegs bist?
Ich finde, das Engagement hat sich nicht gelohnt – es lohnt sich immer noch. Ich finde, es bringt vor allem den Jugendlichen etwas. Sie haben einen Ansprechpartner im öffentlichen Raum, der sich niederschwellig anbietet. Eine Institution zu besuchen, ist immer schon eine kleine Hürde. Kennt man den Ansprechpartner schon, bzw. ist dieser vertraut und vor Ort, kann auch ungezwungener gesprochen werden. Am einfachsten ist es, wenn man Persönlichkeiten hinter Institutionen und Firmennamen bereits kennt. Wir suchen uns unsere Geschäftspartner zum Teil auch wegen Bekanntschaften und den Personen hinter der Ladentheke aus. Und das ist es, was es der Jugend und somit auch der Stadt bringt. Die Jugendlichen haben eine vertraute Anlaufstelle vor Ort. Sie müssen diese nicht mal aufsuchen, sie kommt zu ihnen.
Gibt es ein persönliches Highlight in deiner Arbeit, wenn du auf das Jahr 2015 zurückblickst?
Es gibt viele Highlights. Allein schon die vielen Beziehungen, die ich in dieser Zeit aufbauen oder festigen konnte. Die Art und Weise, wie ich von den Jugendlichen als Partner im öffentlichen Raum wahrgenommen werde. Wenn ich spüre, dass das gegenseitige Vertrauen und die Akzeptanz wachsen, sehe ich das als Highlight.
Wie muss man sich deinen Arbeitstag vorstellen, wenn du draussen unterwegs bist?
Als erstes informiere ich mich über Aktualitäten und schaue, ob besondere Themen anstehen. Diese können sich auch durch «neue öffentliche Räume« z.B. in den «social media»-Netzwerken im Internet abzeichnen. Ich überlege mir, ob ich ein bestimmtes Thema ansprechen will, wenn ich die Jugendlichen sehe. Möchte ich etwas erfragen oder möchte ich etwas beobachten. Dann muss ich mich sicherlich dem Wetter entsprechend anziehen. Das Arbeiten auf der Strasse kann im Winter besonders kalt sein. Auch nass wird man mal.
Auf der Strasse überlege ich mir, wo die Jugendlichen sein könnten und suche diese Orte auf. Ich spreche Gruppen bewusst an, wähle diese aber nicht aufgrund von Auffälligkeiten aus. Wenn ich Jugendliche anspreche, heisst das nie etwas Schlechtes. In der Aufsuchenden Arbeit habe ich es nicht nur mit den «Bösen» zu tun. Das ist ein Irrglaube, der immer noch der Offenen Jugendarbeit anhaftet. Meine Runden beende ich jeweils wieder im Büro. Hier lasse ich meine Eindrücke der vergangenen Stunden bewusst nochmals Revue passieren. Meist gleiche ich diese Eindrücke mit meiner Kollegin ab. Dies aber nur, wenn es der persönliche Datenschutz erlaubt. Manchmal arbeiten wir bestimmte Informationen gemeinsam auf. Selbstverständlich bringt auch die Aufsuchende Jugendarbeit ein wenig Büroarbeit mit sich.
Haben sich alle Jugendlichen gefreut, wenn du aufgetaucht bist?
Zunehmend, ja. Den Kindern wird von klein auf eingebläut: Sprich nicht mit dem fremden Mann und nimm auf keinen Fall das Täfeli, das er dir zustecken will. Wird man von Fremden angesprochen, ist immer eine gewisse Skepsis vorhanden. Es kann gut sein, dass hier das Täfeli des fremden Mannes prägend wirkt. Andere hegen aber auch Skepsis, weil sie hinter dem aufsuchenden Auftrag mehr bzw. das Falsche verstehen. Den Spitzel der Polizei. Durch Konstanz und Kommunikation will ich dafür sorgen, dass sich die Jugendlichen freuen, mich zu sehen. Aber um die Frage konkret zu beantworten: Es gab sicher Jugendliche, die am Anfang nicht sehr erfreut waren. Ablehnung gehört zu meinem Beruf. Wenn ich aber sehe, dass auch aus solchen Konstellationen etwas Neues entstehen kann, freue ich mich darüber. Andere, eher ordnungspolitisch orientierte Partner im öffentlichen Raum schaffen es oft nicht, diese Ablehnung zu überwinden. Dort sehe ich unsere Aufgabe. Und unsere Stärke.
Dein persönliches Fazit 2015?
Vieles ist möglich und noch viel mehr soll möglich werden. Das Jahr 2015 war ein Jahr des Aufbaus unserer Arbeit im öffentlichen Raum und meiner Stelle. Ich musste bei Null starten, kannte nur wenige Jugendliche in der Zielgruppe. Mittlerweile, ein Jahr später, kenne ich viele Leute im öffentlichen Raum. In mir bisher unbekannten Gruppen ist meistens jemand dabei, mit dem ich schon anderswo Bekanntschaft gemacht habe. So akzeptieren mich auch neue Gruppen eher als Gesprächspartner. 2016 will ich diese Kontakte vertiefen und neue Bekanntschaften pflegen.
Gibt es Dinge, Ziele, die du nicht oder noch nicht erreicht hast? Aufgaben, die du angehen willst?
Ich möchte für die Jugendlichen in Langenthal einen Ort erschliessen. Einen Ort, wo sie sich aufhalten und entfalten dürfen – und nicht nur geduldet werden. Es gibt Orte, von denen sie per Reglement vertrieben werden. Da will ich ansetzen. Hier können und müssen wir zusammen mit den Jugendlichen noch viel erreichen und zum Guten wenden.
Wie arbeitetest du mit anderen Stellen zusammen? Pflegst du spezielle Kontakte?
Ich arbeitete nach Bedarf mit anderen Stellen und Institutionen zusammen. Im Jahr 2015 ging es mir vor allem um den Kontaktaufbau zu den Jugendlichen. Die Zusammenarbeit mit anderen Stellen muss sicher weiter aufgebaut werden. Unsere Aufsuchende Jugendarbeit kann sich hier noch besser aufstellen. Kontakte pflegte ich aber durchaus nicht nur zu offiziellen Stellen, sondern beispielsweise auch zu Anwohnerinnen und Anwohnern, Sicherheitsorganen, diversen Clubs und Vereinen von Langenthal. Dabei ist es mir wichtig, dass Datenschutz und Schweigepflicht an oberster Stelle stehen. Ich deklariere das jeweils auch entsprechend deutlich.